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Erinnerungen

über mich
Großmutters Kochkiste
 
Mit 5 Jahren kam ich mit meiner Mutter und meinen beiden älteren Schwestern von Eilenburg nach Bad Kreuznach in meine neue Familie. Da ich noch nicht zur Schule ging, verbrachte ich viel Zeit bei meiner Großmutter Eva in der Küche, um ihr beim Kochen zuzuschauen. Fasziniert hat mich vor allem die Kochkiste, die mein Lieblingsplatz wurde. Es war eine selbst gezimmerte, quadratische Holzkiste mit Deckel, ausgelegt mit einer dicken Wolldecke, in der Essen warm gehalten werden konnte. Meine Großmutter brachte mir die “Uhr” bei, lehrte mich englisch und französisch zu zählen und erzählte mir die interessantesten Geschichten von ihrer Verwandtschaft.





Sie hatte etliche Halbgeschwister, die zum Teil in Amerika und China lebten. Nach einem Bruder von ihr, Geheimrat Rost, war sogar ein  Stern benannt worden.
 
Jeden Mittag musste für 8 Personen gekocht werden. Mein Stiefvater hatte nach Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft Arbeit in den Optischen Werken gefunden. Er kam jeden Mittag mit dem Fahrrad nach Hause geradelt. Da er nur eine halbe Stunde Mittagspause hatte, musste das Essen pünktlich auf dem Tisch stehen. Meine Aufgabe war es, in der fraglichen Zeit an der Ecke zu stehen und nach ihm Ausschau zu halten. Erblickte ich ihn, lief ich ins Haus, um den Startschuss zum  Austeilen der Suppe zu geben. Das übrige Essen wurde in der Kochkiste warm gehalten.
 
Alles, was in unserem Garten essbar war, wurde verarbeitet. Süßkirchen, Mirabellen, Birnen, Äpfel wurden eingeweckt. Bei den Süßkirschen zeigten sich leider oft Würmer, die ausgekocht als flache weiße Hüllen im Kompott schwammen. An Gemüse gab es z.B. Bohnen, die mittels eines am Küchentisch festgeschraubten Maschinchens klein geschnippelt wurden. Tomaten wurden für den Winter als Soße eingekocht, in Flaschen abgefüllt und  mit einer roten Gummihaube verschlossen.
 
Natürlich gab es Essen, die ich besonders gern mochte und auch solche, die ich weniger liebte. Ganz oben auf der Liste standen Dampfnudeln mit Rhabarberkompott. Das Beste daran war die Milch-Zucker-Butter-Kruste. Auch liebte ich selbst gemachten Kartoffelbrei mit gerösteten Zwiebelchen zu Sauerkraut und gebackenen Blutwurstscheiben, eine andere Variante war, einen ganzen Ringel Blutwurst auf das Sauerkraut zu legen und kurz mitzukochen bis die Wurstpelle platzte und der Inhalt zum Teil herausquoll, Es gab auch Mehlklöße mit Gurkensalat, Grießklöße, gewälzt in Semmelbröseln mit Mirabellen-Kompott, Milchreis mit Zucker und Zimt und Apfelkompott, Pellkartoffeln mit Quark oder einfach nur Pellkartoffeln mit Butter und Salz oder mit warmem Leinöl.
 
Zu den Essen, die ich weniger mochte, zählte Kartoffelgemüse, manchen besser bekannt als Bechamelkartoffeln. Meisten gab es dazu Rote-Bete-Salat. Schrecklich, wenn der rote Saft durch das bleiche Kartoffelgemüse wanderte. Mit Widerwillen – wir mussten übrigens alles essen - zwang ich mir auch Mangoldgemüse, das wir reichlich von einem Nachbarn geschenkt bekamen sowie Lauch hinein. Ebenso konnten mich „Arme Ritter“ nicht erfreuen. Das waren übrig gebliebene altbackene Brötchen, in Scheiben geschnitten, eingelegt in einer Zucker-Milch-Mischung, paniert und in Fett ausgebraten. Die Kruste schmeckte gut, aber innen war das feuchte schlapprige Brötchen.
 
Auch Linsensuppe zählte nicht unbedingt zu meinen Lieblingsgerichten. Das hatte seinen Grund. Die Linsen, die in größeren Mengen gekauft wurden, mussten vorher aussortiert werden. Da sehr oft kleine Käfer, von uns Kindern Linsenfrösche genannt, in den einzelnen Linsen wohnten, bekam jedes Kind sonntagmorgens einen kleinen Berg Linsen, um die schlechten auszusortieren. Trotz größter Sorgfalt tauchten immer wieder mit Käfern bewohnte Linsen und kleine Steinchen in der Suppe auf. Zu der Suppe wurde ein kleines Töpfchen mit Essig gereicht. Ein Schuss davon verfeinerte die Suppe ungemein und verlieh ihr eine schönere Farbe.
 
Suppe gab es übrigens jeden Tag. Oft wurden dazu Knochen – damals für wenige Groschen erhältlich – ausgekocht und mit Grießklößchen oder Suppennudeln gehaltvoller gemacht. Besonders beliebt bei uns Kindern waren Buchstabennudeln. Wir versuchten, die passenden Buchstaben herauszufischen, um unseren Namen auf den Tellerrand zu legen.
 
In dieser Zeit war es normal, dass hin und wieder Bettler an der Tür klingelten. Sie wurden hereingebeten und bekamen dann am Küchentisch einen Teller Suppe mit einer Scheibe Brot und einem Glas Wasser angeboten.
 
Fleisch gab es übrigens nur am Sonntag. Und freitags Fisch, der damals noch preiswert war, z. B. grüne gebackene Heringe oder paniertes Fischfilet mit Kartoffelsalat.
 
Heute muss ich nur noch für zwei Personen kochen. Da kommen natürlich nur noch Speisen auf den Tisch, die ich auch gerne mag. Mir fehlen aber die Gerichte, die sich in dieser kleinen Menge nicht mehr zu kochen lohnen. Ich denke dabei an die herrlichen Dampfnudeln, selbst gemachte Kartoffelklöße und mehr.


Der Milchpilz  -  einst beliebter Treffpunkt für Jung und Alt
 
Ursprünglich von der Molkerei aufgestellt und betrieben, ging der Milchpilz Mitte der 50er Jahre in den Besitz des Ehepaares Alfred und Elli Montz über. Er stand in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs inmitten einer hübsch angelegten Grünanlage mit Bänken, die zum Ausruhen einluden. An die Grünanlagen schloss sich eine Mauer mit Gebäude der Tierfutterhandlung Rodrian an. Da ich dort häufig Körner und getrocknete Garnelen für unsere Hühner kaufen musste, führte mich mein Weg oft am Milchpilz vorbei. Er war ein beliebter Treffpunkt von Jung und Alt.
 
Besonders die Jugendlichen wussten die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Eheleute Montz zu schätzen. Nicht selten kam es vor, dass Schüler, die den Bus verpasst hatten, sich hilfesuchend an die Milchpilzbesitzer wandten. So bekamen sie ein paar Groschen zugesteckt, um nach Hause telefonieren zu können.
 
Nachmittags waren die am Milchpilz aufgestellten Bänke oft von älteren Damen besetzt, die sich dort zu einem Plausch einfanden. Neben Eis und Joghurt gab es köstliche Milchmixgetränke mit Bananen-, Erdbeer- oder Nussgeschmack. Während sich Herr Montz um Nachschub kümmerte, stand seine Frau hinter der Theke. Im Sommer hatte sie noch eine Hilfe, um den Ansturm bewältigen zu können. Für ihre Kundschaft hatte sie immer ein offenes Ohr.
 
So erzählte sie mir von einer jungen Frau, die ihre beiden noch nicht schulpflichtigen Kinder morgens am Milchpilz ablieferte und ihnen auftrug brav sitzen zu bleiben, bis sie von ihrer Putzstelle zurückkäme. Und da sie wirklich immer ganz lieb warteten, bekamen sie von Frau Montz ein Leckeis geschenkt. Noch heute erinnern sich die beiden, die inzwischen selbst schon erwachsene Kinder oder gar Enkel haben, an diese Zeit.



Zeichnung von G. Meyer-Grönhof

In den Sommermonaten war der Milchpilz bis 22.00 Uhr geöffnet und so ein gefragter Treffpunkt für junge Pärchen. Nicht nur das Eis und die Milchgetränke waren köstlich, auch die Sahne war besonders gut. So wurde ich sonntags öfter mit einer Glasschüssel losgeschickt, um eine Portion Sahne zu kaufen. Unter Drehen der Schüssel und Herunterdrücken des Hebels der Sahnemaschine braddelte die Sahne wohlgeformt in die Glasschüssel.
 
Da das Ehepaar Montz auch im Winter auf  die Einnahmen des Milchpilzes angewiesen war, boten sie in der kalten Jahreszeit Pommes frites und Würstchen an, außerdem heiße Milch und  Kakao.
 
Als 1972 die Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes anstand, war für den Milchpilz kein Platz mehr. Trotz größter Bemühungen der Besitzer war es nicht möglich, einen anderen Stellplatz zu bekommen. Schweren Herzens wurde der Milchpilz nach Pfaffen-Schwabenheim verfrachtet, wo er auf einen Käufer wartete, der sich auch bald fand. Und so trat der Milchpilz seine Reise nach Sobernheim an. Da stand er noch einige Jahre am Bahnhof, bis er auch dort eines Tages für immer verschwand.

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Aktualisiert: 16.03.2022
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