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Begegnungen

über mich
Ventilche, ein Kreuznacher Original
 
Peter Roth, so war sein richtiger Name, den Kreuznachern besser bekannt unter seinem Spitznamen “Ventilche”, war für mich, als ich noch Kind war, ein Mensch, der mir Angst und Unbehagen einflößte. Er war ein eher kleiner Mann, der schon durch seine Kleidung und Gangart auffiel. Über seinen Hosen trug er immer feste hohe Ledergamaschen. Als Kopfbedeckung diente eine Schippekapp. Da er große Probleme mit dem Gehen hatte, er wackelte hin und her, benutzte er als Hilfe einen Stock mit einer Metallspitze. So konnte man ihn immer schon von weitem hören. Die Jugendlichen machten sich einen Spaß, indem sie in seiner Nähe den Laut eines luftablassenden Ventils hören ließen. Darauf reagierte er mit lauten Schimpftiraden oder  - wenn es gar zu schlimm wurde -  warf er seinen Stock nach den Quälgeistern.


Meine persönliche Begegnung mit ihm verlief dagegen völlig anders. Da wir direkt gegenüber der Ringschule in der Jean-Winckler-Straße wohnten, war mir diese Schule sehr vertraut. Frau Zosel, die sehr strenge und energische Hausmeisterin, war unsere direkte Nachbarin. Ihr Enkel Harald, der auch in der Hausmeisterwohnung lebte, war ein Spielkamerad von mir. Ich ging also des Öfteren gegen Abend in den Keller der Schule, in der eine Volksküche eingerichtet war. Ich erinnere mich an einen großen, langen, immer etwas dämmrigen Raum mit großen steinernen Waschbecken in der Mitte. Interessant waren für mich die unterschiedlichsten Menschen, die dort ein- und ausgingen. Und dort begegnete ich eines Tages auch dem Ventilchen. Wahrscheinlich war ich ihm aufgefallen und er hatte Mitleid mit dem kleinen schmächtigen Mädchen. Denn ohne dass ich ihn um etwas gebeten hatte, zog er aus seiner Hosentasche ein kräftiges Stück Kommissbrot. Für mich eine Köstlichkeit! Wenn ich daran denke, habe ich noch heute den Geruch des Brotes in der Nase.
Tanzstunde
 
Während meiner Schulzeit auf dem Lyzeum war es üblich, dass die Mädchen in der Untersekunda geschlossen zur Tanzstunde gingen. Dazu gesellten sich die Jungen der Obersekunda des Gymnasiums. Die Tanzschule führte Herr Walter Hebgen, ein feiner Herr mittleren Alters, der großen Wert auf gutes Benehmen legte.
 
Vor Beginn der ersten Stunde wurden die Eltern eingeladen und über die Kosten und den Ablauf des Tanzkurses informiert. Getrennt nach Jungen und Mädchen galt die erste Tanzstunde den Anstands-regeln. Es war eine Selbstverständlichkeit, dass die Mädchen in Röcken erschienen, bei den Jungen wurde auf ordentliche Kleidung und geputzte Schuhe Wert gelegt.
 
Und dann kam die erste Tanzstunde, die im Bootshaus stattfand. Die Mädchen nahmen in einer langen Reihe auf Stühlen Platz, während die Jungen gegenüber Aufstellung nahmen. Getanzt wurde auf die Musik von Herrn Eikert, der am Klavier saß. Herr Eikert, der diese Tätigkeit schon jahrelang ausübte, kam regelmäßig zu spät. Mit wehenden Mantelschößen und der Bild-Zeitung unter dem Arm stürmte er durch die Pendeltür, klappte den Klavierdeckel hoch und statt Noten stellte er die Bild-Zeitung ab. Denn die passenden und immer wiederkehrenden Melodien für die entsprechenden Tänze spielte er wie im Schlaf.


 
Auf Kommando von Herrn Hebgen stürmten die Jungen los, um ihre auserwählte Tanzpartnerin aufzufordern. Aber gerade das durfte nicht sein und wurde wiederholt. Verbeugung vor dem Mädchen, leichtes Nicken und Tanzhaltung einnehmen! Bei den ersten Takten der Musik tanzte man los, mehr oder weniger stümperhaft. Angespanntes Zählen – eins, zwei, drei, eins, zwei, drei -, manchmal begleitet durch ständiges Kopfnicken. Und immer rechts herum, um Kollisionen zu vermeiden. Herrn Hebgen entging kein Fehler und er hatte alle Hände voll zu tun, um uns zu korrigieren.
 
Mit jeder weiteren Stunde wurden unsere Leistungen besser und es machte uns großen Spaß.
 
Und dann stand der Mittelball an, erste Generalprobe. Da immer einige Mädchen „männerlos“ blieben, wurden Jungen aus dem vorhergehenden Kurs mobil gemacht. Und jetzt galt es fleißig zu üben, um an dem Schlussball, der im Kurhaus stattfand, eine gute Figur zu machen.  Den Jungen stand noch etwas Unangenehmes bevor. An einem Sonntagmorgen mussten sie sich bei den Eltern ihrer Tanzpartnerin vorstellen, um sich die Erlaubnis einzuholen, mit ihr den Abschlussball machen zu dürfen.
 
Da mein damaliger Tanzpartner (und heutiger Ehemann!) und ich schon zu dieser Zeit befreundet waren, machten wir Mittel- und Schlussball natürlich zusammen.Zum Abschlussball bekam das Mädchen von ihrem Tanzpartner einen Strauß, bestehend aus drei Nelken und Asparagus. Die Mädchen trugen lange Ballkleider, während die Jungen in dunklen Anzügen erschienen. Vor der großen Tür zum Kurhaussaal nahmen sie paarweise Aufstellung, und unter den Klängen von „Heinzelmännchens Wachtparade“ marschierten sie ein. Herr Hebgen – an den Händen weiße Handschuhe – führte die Polonaise an. Bewundernde und stolze Blicke der Eltern begleiteten die Paare. Danach folgten die einstudierten verschiedenen Tänze. Bevor der offizielle Teil zu Ende ging, standen noch die Pflichttänze an. Der junge Mann musste die Mutter seine Tanzpartnerin auffordern, während der Vater des Partners das Mädchen zum langsamen Walzer auf das Parkett holte.
 
Diese Art von Tanzstunde wäre heute sicher nicht mehr möglich. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Ernsthaftigkeit alle bei der Sache waren, um den Ansprüchen des Tanzlehrers zu genügen. Und ich bin sicher: Jeder, der diese Tanzstunde mitgemacht hat, erinnert sich immer wieder gern daran.
 
Willi und Karl - eine ungewöhnliche Tierfreundschaft
 
Als meine Töchter noch zur Schule gingen, wünschten sie sich ein Haustier. Wir waren  nicht gerade begeistert, hatten aber durchaus auch Verständnis für den Wunsch. Infrage kamen nur Tiere, die in unseren Tagesablauf passten. Da ich halbtags arbeiten ging, mussten sie vormittags alleine bleiben  können. Eva wünschte sich ein Meerschweinchen. Und so kam am 9. Mai - ihrem Geburtstag  - eine Handvoll Meerschwein ins Haus. Es war ein hübscher kleiner Kerl mit vielen Wirbeln in seinem weiß/roten seidigen Fell. So kam er zu seinem Namen “Wirbel-Willi”. Ein großer Drahtkäfig stand bereit. Zusätzlich baute mein Vater noch ein Holzhäuschen mit ausgesägtem Eingang, in das er sich zum Schlafen zurückziehen konnte.  
 
Und Dörte wünschte sich zu ihrem Geburtstag im November einen Wellensittich. Gemeinsam suchten wir im Zoogeschäft einen kräftigen blaugefiederten Vogel aus und trugen ihn in einem kleinen Pappkarton nach Hause, um ihn dort in seinen neuen Käfig umzusetzen. Er bekam den Namen “Karl”.


 
Die Käfige hatten wir nebeneinander gestellt. Der Deckel des Meerschweinchenkäfigs wurde aufgeklappt und wie eine Rampe zum Vogelkäfig gelegt. Das Türchen zu Karls Behausung  war ebenfalls immer geöffnet. Am Anfang drehte Karl ab und zu eine Runde im Wohnzimmer, um in der Hoya, die statt Gardinen am Fenster rankte, zu landen.
 
Aber irgendwann entdeckte er Willi und marschierte über die Rampe bis an den Rand des Käfigs, um ihn näher zu betrachten. Und dann hüpfte er in den Meerschweinchenkäfig. Karl war ein frecher Vogel. Er marschierte schnurstracks in das Holzhäuschen und Willi hinterher. Ein erschreckendes Rumoren, Gequietsche und Pfeifen drang aus dem Häuschen. Ich hielt die Luft an und befürchtete, dass der Vogel das nicht überleben würde. Eine Freundin, die bei mir zu Besuch war, griff beherzt zu und rettete Karl, der ziemlich zerzaust aussah und ganz schnell zurück in seinen Käfig marschierte. Es dauerte ein paar Tage, bis er sich wieder zu dem Meerschweinchen wagte. Sein Holzhaus betrat er allerdings nie mehr.



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Aktualisiert: 16.03.2022
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